Laverda des Monats
Januar 2010
LAVERDA OR6000 Atlas von Bruno Schleiss
Text: Bruno Schleiss und Jörg Strehler, Fotos: Jörg Strehler und verschiedene Atlas Besitzer
Es war Mitte der siebziger Jahre, als Yamaha mit seiner ersten grossvolumigen Enduro, der XT 500, einen neuen Trend setzte. Als erster namhafter Hersteller erkannten die Japaner, was vielen reiselustigen Motorradfahren fehlte: Ein leichtes, stabiles und zuverlässiges Gefährt mit verlängerter Gabel und Federbein, welches sich auch abseits der Strasse bewegen lässt.
Den bereits einige Jahre zuvor produzierten 350 und 450 Scrambler-Modellen von Ducati und den verschiedenen Versuchen englischer Hersteller, mit hochgezogenen Auspuffrohren und etwas längeren Federwegen Endurofeeling zu verkaufen, war wenig Erfolg beschieden.
Preis-Leistung, einfache, zuverlässige Technik und der Zeitgeist führten die Yamaha zum Erfolg. Viele Motorradhersteller sprangen auf den bereits fahrenden Zug auf, jeder wollte sich ein Stück des Kuchens sichern der Mitte der achtziger Jahre ihren Höhepunkt erreichte.
Moto Laverda, das auf eine aktive und erfolgreiche nationale wie internationale Vergangenheit im Geländesport mit Fahrern wie z.B. Guido Benzoni zurück blicken konnte (Goldmedaille 1956 am Internationalen 6 Tage Rennen in Garmisch-Patenkirchen, Italienischer Meister auf Regolarita u.s.w.) und selbst für BMW 1977/78 zehn Ur-G/S Prototypen für die Rally Paris-Dakar bauen konnte, nutzte die Gunst der Stunde nicht.
Die bereits Ende der siebziger Jahre von Franco Bartocci, Giulio Fransan und Nino Caretta entwickelte Gross-Enduro mit dem bewährten 350 oder 500cc Zweizylindermotor aus der Strassen-Maschine leistete maximal 45 PS bei 8’000 U/min. Mit dem neu entwickelten Geländerahmen, 40er Marzocchi-Gabel (300mm Federweg), 36 Liter Benzintank und der verstärkten Hinterradschwinge aus der 250er Chott, versprach dieses Motorrad tolles Handling und auch gute Fahreigenschaften im Gelände. Giulio Fansan verfeinerte den 500er Prototypen noch bevor dieser in der Versenkung verschwand. /p>
Anfang der 90er Jahre ging diese Ur-Laverda-Grossenduro als Geschenk von Giulio Fransan an Jörg Strehler, der sie Jahre später zusammen mit einer Vorserien-Atlas (Fahrgestellnummer 1007) ans Laverda Museum von Cor Dees nach Holland verkaufte. Dort sind beide Motorräder noch heute zu besichtigen.
Spät realisierte auch Laverda, dass in ihrem Modellangebot eindeutig eine Enduro fehlte. Erst im Jahr 1985 erschien eine Enduro mit dem klangvollen Namen OR600 Atlas von Laverda. Die technischen Daten zu diesem etwas schwer geratenen Offroader lauteten wie folgt:
Motor | Paralleltwin, 4 Takt ,180 Grad, 4 Ventile |
Hubraum | 571 ccm Bohrung x Hub 76 x 63 mm |
Leistung | 50 PS bei 7’500 U/min |
Getriebe | 6 Gänge, Antrieb über Kette zum Hinterrad |
Vergaser | Dellorto DHLA40 40er Doppelflachstromvergaser aus dem Automobilbau (Alfa) mit Beschleunigerpumpe |
Fahrwerk | Doppelschleifen Rahmen aus Vierkantrohren |
Räder | vorn 90/90-21", hinten 130/80-17" je 1 Scheibenbremse |
Federung | vorn Marzocchi Cross 42mm, hinten Marzocchi DeCarbon mono |
Fahrleistungen | 0-100 km/h 7.2 sek. Höchstgeschwindigkeit 160 km/h |
Gewicht | 205 kg inkl. Betriebsstoffe, Sitzhöhe 860 mm |
Tankvolumen | 23 Liter |
Beim Erscheinen der Laverda OR600 Atlas war der grosse Run für Weltreisende bereits am Abklingen, oder Hersteller wie Yamaha mit XT 600 und BMW mit ihrem Boxer R80 G/S machten das Rennen, Sie konnten von ihren jahrelangen Erfahrungen profitieren und hatten sich eine treue Fangemeinde aufgebaut.
In der Motorrad-Presse wurde die OR600 sehr gelobt, topp Fahrwerk, stabiler Rahmen, hochwertige Federelemente, solide Verarbeitung, tolles Kurvenverhalten u.s.w. Einzig der überarbeitete Paralleltwin-Motor aus der 500er Strassenversion bekam etwas Schelte. Zwar leistete er beachtliche 50 PS, diese jedoch erst bei höheren Drehzahlen. Im unteren Bereich rappelt und schüttelt sich das Triebwerk widerwillig. Deshalb erhielt die OR den Übernamen "Rennduro".
Zwei Schweizer (Rolf Oeschger & Nick Ruetz) liessen sich durch die Presseberichte nicht entmutigen und entschlossen sich vor über 20 Jahren für ihre Afrika-Reise auf die Atlas zu setzten. Ihre Beweggründe dafür waren Vierkantstahlrohrrahmen, üppig dimensionierte Schwinge, Akront-Felgen mit geschmiedeten Speichen, 42er Marzocchi-Gabel, Zentralfederbein, grosser Tank und Ölkühler sowie der mit wenig Änderung aus der 500 SFC entnommene Twin-Motor, der sich bei vielen Renn- und Langstrecken Einsätzen bewährt hat. Nicht zu vergessen der bescheidene Benzinverbrauch.
Bei den Tourenvorbereitungen half ihnen Hans Hafner aus Eschenbach.
Die Reise wurde für die beiden ein durchschlagender Erfolg, Schäden an der OR600 wurden keine registriert. Thomas Reiter aus Deutschland war mit seinem OR600 Atlas Enduro-Gespann schon verschiedentlich in der Sahara und im Atlas unterwegs. Trotz dieser hohen Beanspruchung läuft diese Laverda schon weit über 160’000 km.
Diese spannenden und erfolgreichen Unternehmungen verhalfen der OR600 Atlas nicht zum erhofften Erfolg. Zwischen 1986 und 1988 wurden nur ca. 450 Stück gebaut, davon ca. 50 Stück einer verbesserten zweiten Serie.
Folgende Änderungen wurden für die 2. Serie vorgenommen:
- Neu gestaltetes Windschild vorne.
- Ansprechendere Heckpartie mit geänderten Seitendeckeln.
- 2 Ölkühler an den Seiten des Benzintanks, anstelle vorne unter der Lampe.
- Hydraulische Kupplung, gegenüber Seilzug.
- Geänderte Krümmerführung zum Endtopf.
Wie viele Laverda Atlas insgesamt noch erhalten und lauffähig sind, ist nicht bekannt. Mit dem neu lancierten Laverda Atlas Owner Register wird versucht, den noch verbleibenden Atlas Fahrern eine Plattform zur gegenseitigen Hilfe bei Reparaturen und Ersatzteilen zu schaffen und damit diese kurze Reiseenduro-Episode von Laverda weiterhin am Leben zu erhalten.
Ein Nachfolger für die OR600 Atlas wurde 1989 an der EICMA von Nouva Moto Laverda mit dem ansprechenden Namen 700 i.e. "El Cid" vorgestellt. Sie hatte einen Vorserien 668ccm Motor mit Weber-Marelli Einspritzung. Wirklich speziell ist zu vermerken, dass der Rahmen unter der neuen Nummer "700 i.e" noch die alte "1001" Nummer eingestempelt hatte, die auf den Urrahmen des ersten Atlas-Prototypen zurück ging und für "El Cid" umgebaut wurde. Leider ging dieser Prototyp in den Wirren der Werksschliessung in Breganze unter, fand später ihren Weg ebenfalls zu Jörg Strehler, von dort zu Roberto Z’Graggen und letztlich nach Holland ins Laverda Museum.
Das so viele Laverda OR600 Atlas in den neunziger Jahren in der Schweiz fuhren, ist dem Importeur Hansruedi Möri zu verdanken, der kurz vor der Schliessung der Laverda Fabrik in Breganze noch die letzten bereit stehenden 50 Stk. aufkaufte. Insgesammt wurden von ihm 50 Stk. der ersten Serie und 25 Stk. der zweiten Serie in die Schweiz importiert. Für technische Fragen und Ersatzteile rund um die Enduro-Laverda, ist er heute noch eine der besten Adressen.