Mit der Laverda Cento von Ettore Grassellini an der 35. Milano-Taranto im Juli 2022
Montag, 5. September 2022Text und Fotos: Jörg "Giorgio" Strehler
Bericht über die Teilnahme von Jörg Strehler an der Gedenkfahrt Milano-Taranto vom Juli 2022
Einleitung:
Zwei meiner vier Laverda Cento haben sich
2011 und 2015 bereits an der Langstreckenfahrt Milano-Taranto (jeweils knapp
2000 km) bestens bewährt! Die Sport von 1955 sogar zweimal, 2011 gefahren von
mir und 2015 gefahren von Anita Gwerder. An der Fernfahrt 2015 waren wir eine
„Armada“ von gut 25 Laverda Cento die nach der anstrengenden Fahrt ab Milano
Idroscalo schlussendlich in Taranto, der Stadt der zwei Meere gefeiert werden konnten! Nach dem
Freudentaumel ging‘s 2015 per Motorrad zurück nach Bari ins Hotel Nicolaus, um
anderntags mit vier Laverda Cento und Gepäck für eine Woche in Richtung
Sizilien aufzubrechen. Knapp 4000 km kreuz und quer auf kleinsten Strassen
durch Italien in zwei Wochen auf den kleinen Laverdas, das bleibt unvergessen, emozioni
pure!
Im OK des Internationalen Bergrennens
Küssnacht-Seebodenalp reifte die Idee die Milano-Taranto auf kleinen
historischen Motorrädern zu bestreiten. Die Corona Pandemie bremste diese Pläne
aber vorerst aus, da die Fernfahrt zwei Jahre lang nicht durchgeführt werden
konnte. Diese Zwangspause verschaffte uns genau die Zeit, die wir brauchten, um
unsere Motorräder gut vorzubereiten.
Die Laverda Cento, Modell Moto Giro von 1957,
mit Papieren vom ehemaligen Rennfahrer Ettore Grasselini aus Florenz, konnte
ich 2020 in Imola kaufen. Nach gut 20 Jahren Gebrauch sollte sie jedoch komplett
renoviert werden. Etliche Schwierigkeiten mit dem speziellen Rennmotor konnten
mit Hilfe von Freunden schlussendlich gelöst werden und die neu aufgebaute
Laverda mit dem verstärkten Rahmen wurde „just in time“ samt Ersatzmotor auch
noch erfolgreich eingefahren, bevor zur 35. Milano-Taranto aufgebrochen wurde!
1. Etappe:
Angespannt sprinteten Gary Gwerder und ich
unsere Laverda Centos mit den Startnummern 11 und 12 kurz nach Mitternacht
zwischen den Zuschauermauern ab Novegros Parco Esposizioni in Richtung Idoscalo
an.
Die Investition in eine Elektronische Zündung
mit 12 Volt Lichtmaschine und die zusätzlich unter dem Scheinwerfer montierte
superhelle LED Taschenlampe bewährten sich in der Nachtfahrt durch die teils
unbeleuchteten, löchrigen Nebenstrassen der Lombardei und der Emiglia Romagna. Herausfordernd
waren vor allem die speziellen Pfeilmarkierungen, die man nicht übersehen
durfte, denn mit diesen wurden wir kreuz und quer über mehrheitlich kleine
Strassen ab Mailand über Crema, Ciliverghe di Mazzano, Mantova, Lendinara,
Argenta an unser Etappenziel Villanova di Castenaso bei Bologna geführt.
2. Etappe:
Start kurz nach 8 Uhr zur zweiten Etappe in
Richtung Bologna, um im Morgenverkehr die Mi-Ta-pfeilbeschilderte Auffahrt zum
Passo Futa zu erreichen. Die erste wirkliche Bewährungsprobe für Motor und
Fahrwerk beim Aufstieg auf der kurvenreichen Passstrasse zum Passo Raticosa und
nachfolgend Passo Futa wurde mit Bravour bestanden, konnte ich doch im
Kurvengeschlängel sogar auf vier moderne, grossvolumige Motorräder
aufschliessen, um diese dann nacheinander auch noch zu überholen. Auf der
Piazza Cavour in Barberino di Mugello wurden wir wie Helden vom dortigen
Motorradclub und den zahlreichen Enthusiasten begrüsst und hervorragend
verpflegt.
Die Weiterfahrt via Dicomano, Civitella in
Val di Chiana bis zum Zwischenhalt in Castiglion del Lago am wunderschön
gelegenen Lago di Trasimeno verlief ohne Probleme, ausser dass ich dann
bemerkte, dass ich im Startgehetze in Mugello meine Nierentasche mit meinen
Brillen und dem Halstuch liegen liess. Ein Traktor mit Anhänger, der eine
kleine Kolonne hinter sich herzog, sollte mir zum Navigations- und dem Motor
zum „End of Race“-Verhängnis werden. In einer langgezogenen Linkskurve
überholte ich die ganze Fahrzeugschlange, ohne zu bemerken, dass rechts ein
Abzweiger weiter in Richtung San Martino in Colle signalisiert war. Erst nach
gut 20km bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte und musste die ganze Strecke
zurückfahren. Nebst diversen Zeitprüfungen gab es auch Punktabzüge, wenn man
nicht rechtzeitig an einem Kontrollpunkt oder an einem Etappenziel eintraf.
Somit musste ich meiner kleinen Laverda trotz Temperaturen von knapp 40° C ganz
ordentlich die Sporen geben, also mehrheitlich Vollgas fahren, um die verlorene
Zeit wieder gut zu machen. Dies manifestierte sich auf den Geraden mit einer
erstaunlichen Spitzengeschwindigkeit von per digitalem Fahrradtacho angezeigten
110km/h. Mit Schwung konnte ich so ganze Kolonnen von Vespas und Lambrettas
sowie auch einige Konkurrenten mit höheren Startnummern und mehr Hubraum
überholen. In einer leichten Steigung, kurz vor unserem Hotel „Gio Wine e Jazz“
in der Grossstadt Perugia stellte jedoch der Motor mit einem nach
„ausgeblasener Kopfdichtung“ tönendem Geräusch plötzlich ab. Unser guter
Mechaniker Claudius war nach wenigen Minuten mit seinem Bus zur Stelle, um mich
samt Cento aufzuladen und etwas oberhalb des Hotels wieder auszuladen, damit
ich „ohne Benzin“ am Kontrollpunkt vor der Hotellobby einrollend ohne Zeit- und
somit Punktverlust erfasst werden konnte.
Nachtarbeit war angesagt! Der vermutlich gut
60 Jährige kleine Mitnehmerstift zwischen Kurbelwelle und
Nockenwellen-Mitnehmerzahnrad war abgeschert und somit war die
Auslassnockenwelle und schlussendlich das Auslassventil ohne Antrieb. In knapp
einer Stunde war der Ersatzmotor eingebaut, eingestellt und auf kurzer
Probefahrt erfolgreich getestet.
3. Etappe:
Die dritte, wieder etwas bergigere Etappe von
Perugia nach Cassino, vorbei an brennenden Waldhängen, führte uns durch
wunderschöne Landschaften und malerische Dörfer. Verpflegungshalte mit
Zeitkontrollen gab es unter anderem im historischen Ort Grutti, wo uns nebst
feinstem Essen auch einheimische Folklore mit einer Tamburengruppe und
Fahnenschwingerinnen vorgeführt wurde. Auch im Mittelalterlichen Dorfkern von
Montenero Sabino wurde uns durch die Bevölkerung ein herzlicher Empfang und
beste Verköstigung geboten. Nach der Stempelkontrolle auf der sich endlos
hinziehenden Hochebene von Arcinazzo und einer erneuten Zeitkontrolle in
Ferentino erreichten wir gegen Abend das durch den 2. Weltkrieg berühmt
gewordene Cassino mit seinem riesigen Kloster Monte Cassino auf einer Anhöhe oberhalb
der Stadt. Ein Deutscher Teilnehmer wurde kurz vor Cassino von einem Auto angefahren,
so dassd seine wunderschöne Horex Regina sowie auch das Auto sofort Feuer
fingen. (spektakulärer Film und Info unter: https://www.leggocassino.it/2022/07/07/milano-taranto-la-tappa-di-cassino-finisce-in-ospedale/ )
4. Etappe:
Start anderntags ab unserem Hotel Edra Palace
zur anspruchsvollen vierte Etappe, die uns über steil ansteigende Strassen auf das
knapp 800 m.ü.M. gelegene San Pietro Infine in Richtung Isernia führte und in
einem immerwährenden auf und ab nach Piedimonte Matese zur zweiten
Zeitkontrolle des Tages brachte. Eine vorab markierte Strecke musste auf die Zehntelsekunde
genau durchfahren werden und, um keine Punktabzüge einzufahren, durfte der
Boden mit den Füssen nicht berührt werden. Danach durfte zum jeweils nächsten
Etappenziel, hier Venticano, weitergefahren werden. Auf dieser vierten Etappe
wurden auch die meisten der insgesamt 22‘724 Höhenmeter eingefahren, keine
leichte Aufgabe für die teils nur 50ccm und 65ccm kleinen Motörchen! Die Stempelkontrolle
fand am späteren Nachmittag auf dem 1135 müM gelegenen Valico Di Monte Carruzzo
statt, bevor wir nach ständigem auf und ab gegen Abend auf der kühlen Piazza
Mario Pagano in der Altstadt von Potenza mit Essen und Trinken etwas für die
Strapazen entschädigt wurden.
5. Etappe:
Nachdem die ersten vier Etappen mit jeweils
zwischen 300 bis knapp 400km Mensch und Maschine viel abverlangten, war die 5te
Etappe von Potenza nach Bari mit 245km geradezu eine Spazierfahrt. Eine Fahrt
quer durch die Basilicata und Apulien, vorbei an den berühmten Trulli-Häusern,
mit Stempelkontrolle auf der wunderschönen Piazza Castello in Miglionico. Bei
noch gutem Wetter ging die Fahrt weiter über holprige Strassen zur
Stempelkontrolle auf der durch den letzten James Bond Film bekannt gewordenen
Piazza Benedetto XIII in Gravina in Puglia, wo teilweise heftiger Regen die
Weiterfahrt durch umgestürzte Bäume und sture Polizeibeamte unnötig erschwerte.
Wie Nadelstiche peitschte der mit Wind beschleunigte heftige Regen auf die
Gesichter der nur mit Halbschalenhelmen geschützten Fahrer, die wie ich ihre Gesichter
mit der Handschuhbewehrten linken Hand so gut wie möglich zu schützen
versuchten. Unter den wenigen Bäumen entlang der kargen Landschaft standen
bereits schutzsuchend Motorradfahrer und so hiess es auf die Zähne beissen, um
sich nach der Stempelkontrolle beim berühmten Stauferschloss Castel del Monte
trotz teils heftigem Regen nach Bari ins rettende Hotel Nicolaus
durchzuschlagen! Die warme Dusche, die Superaussicht vom luxuriösen Zimmer im
14ten Stock und das sehr feine Nachtessen liessen mich die Strapazen schnell
vergessen.
6. Etappe:
Die letzte 180 km lange Etappe von Bari nach
Taranto führte über das auf einem Hochplateau 400m über dem Meer wunderschön
gelegene Selva di Fasano zur ersten Zeitprüfung. Mehrere exklusive Villen
entlang der Strecke bestätigten das Gerücht, dass sich hier wohl einige der Schönen
und Reichen dieser Welt ein Auszeit-Zuhause leisten. Die letzte
Stempelkontrolle befand sich nach ca. 20 km im direkt am Meer gelegenen, wunderschönen,
weissgetünchten mittelalterlichen Ostuni. Mit viel Liebe und Aufwand kunstvoll
verzierte regionale Früchte wurden uns von den äusserst freundlichen
Süditalienern angeboten. Ferienstimmung wäre da angebracht und ich wäre ja auch
sehr gerne geblieben, aber die Zielflagge in Taranto ruft zur Vernunft. So geht
die Fahrt mitten durch Ostuni weiter in Richtung Villa Castelli, wo auf der
Piazza del Municipio die letzte Zeitkontrolle auf mich wartete. Die letzten 25
km geht’s dann mehrheitlich leicht bergab, meist mit Sicht zum Golf von Tarent im Ionischen Meer. Adrenalin fährt mit durch die Vorstadt von Taranto, bevor uns eine
applaudierende Menschenmenge bei der Ponte Girevole (der Drehbrücke vor dem
Castello) anhält. Zusammen mit Gary auf seiner Laverda Sport mit der
Startnummer 11 durchfahren wir freudig und emotionsgeladen, fotografiert von
allen Seiten, durch das Zielbanner. Unser Direttore della Gara, Tito Celoni,
schwingt dabei unter vollem Körpereinsatz seine schwarz/weiss karierte
Zielflagge… geschafft, wir sind nach offiziell 1742 km, 22‘726
Höhenmetern und diversen Problemen mit unseren kleinen Italienerinnen am Ziel
in Taranto angekommen!
Als 9ter unter die Top 10
der Kategorie „Gloriose und Storica“ zu fahren, war keine schlechte Leistung,
zumal mir eine Zeitkontrolle total misslungen war und ich deshalb 30 Punkte
Abzug kassierte! In der Auswertung des GPS-Tracking wurde ich auf der
offiziellen Homepage der Milano-Taranto sogar auf der 3. Position von knapp 100
aufgeführt…, wie auch immer!?
191 FahrerInnen, 13
BeifahrerInnen, darunter 111 Italiener und 93 aus dem Rest der Welt, Schweizer,
Deutsche, Engländer, Franzosen, Amerikaner und Kanadier, auf Motorrädern von 35
verschiedenen Herstellern, darunter 19 Oldtimern aus Italien. Das sind die
nüchternen Teilnehmerzahlen zur hervorragend organisierten, erinnerungsintensiven
35ten Milano-Taranto. Mille Grazie Familie Sabatini!
C by Jörg „Giorgio“ Strehler 6438 Ibach/Schwyz